Nicht aus einem Guss
Das Werk „Drachenbanner“ von Rebecca Gable ist ein umfangreiches Buch,
das insgesamt vier Teile umfasst. Ich nehme mein Fazit einmal vorweg: Die
ersten beiden Teile, die in den Jahren 1238-1248 angesiedelt sind und ungefähr
die Hälfte des Buchs ausmachen, haben mir gut gefallen. Eindrucksvoll und
lebendig werden hier das Leben in Leibeigenschaft und das am Hofe beschrieben,
und zwar am Beispiel der beiden Charaktere Adela von Waringham und dem
Leibeigenen Bedric. Vor allem die Figurenzeichnung von Bedric empfand ich als
sehr gelungen. Doch dann kommt es zu einem Bruch. Es gibt einen Zeitsprung von
10 Jahren und es folgen Teil 3 (1258-1259) und Teil 4 (1263-1265). Diese zweite
Hälfte des Buchs hat mich dann weniger überzeugt.
Doch warum empfand ich das so? Im ersten Teil ist die
Charakterzeichnung, in meinen Augen vor allem die von Bedric, absolut
überzeugend gestaltet worden. Wir verfolgen sein Schicksal und leiden v.a. mit
ihm mit. Es wird den Lesern lebendig vor Augen geführt, wie sich das Leben als
Leibeigener anfühlt und wie es wohl gewesen sein mag, im 13. Jh. von dem Willen
eines Grundherrn abhängig zu sein. Bedric ist ausgeliefert, er hat keine
Rechte. Er muss Schikanen und Ungerechtigkeiten erdulden, doch er hat ein Ziel
vor Augen: die Freiheit. Und er benimmt sich nicht wie der typische Leibeigene,
sondern leistet Widerstand und zeigt oft Mut (oder Leichtsinn?), indem er sich
widersetzt. Man fiebert mit ihm mit. Die Geschichte um Bedric fesselt und die
detailgetreue, realistische Schilderung der Lebensumstände überzeugt. Das
Machtgefälle, die Hierarchien und die Unterordnung kommen sehr anschaulich zum
Ausdruck. Man erhält einen authentisch anmutenden Einblick in das Leben von
Leibeigenen sowie in das bäuerliche und dörfliche Leben allgemein. Am Beispiel
der Zwangsheirat von Eldrida, der Mutter von Bedric, mit Wigot wird die
Rechtlosigkeit z.B. gut deutlich.
Auch Adelas Charakterisierung ist gelungen. Sie erscheint als starke,
wehrhafte Frauenfigur, die sich auch gegen übergriffige Männer wehrt. Und es
ist gut, dass bei der Vielzahl der auftretenden Figuren die beiden
Protagonisten Bedric und Adela den roten Faden bilden. Sie stehen klar im
Mittelpunkt und geraten auch nicht aus dem Blick (zumindest in Teil 1 und Teil
2). Das ist gut! Und es ist auffällig, mit welcher Detailverliebtheit die
Autorin die Handlungselemente ausschmückt. Ihr Schreibstil wirkt unheimlich
informationsreich, aber nicht überladen. Bis ins kleinste Detail werden die Situationen
beschrieben, so dass ein sehr gutes Bild vorm inneren Auge entsteht. Und gerade
das erzeugt den Realismus und die Authentizität. Toll!
Die Fragen, die mir während des Lesens in den Sinn kamen, waren die
folgenden: Werden Adela und Bedric zusammenfinden? Werden sie die
Standesschranken überwinden? Und wie wird sich ihre Beziehung zueinander entwickeln?
Wer jetzt aber befürchtet, es handele sich nur um eine reine Liebesgeschichte,
die erzählt wird, den kann beruhigen. Dem ist (glücklicherweise!) nicht so. Denn
es gibt einen weiteren roten Faden in diesem Buch: Wird Bedric die Freiheit
erlangen? Wenn ja, wie? Und vor allem letzterer Handlungsstrang hat mich
emotionalisiert.
Nun zu dem, was ich kritisch sehe: Teil 3 und Teil 4. Für mich geraten
die beiden zentralen Figuren, Bedric und Adela, zu sehr aus dem Blickfeld. Sie
spielen zwar noch eine Rolle, kommen immer einmal wieder vor, stehen aber
längst nicht mehr so im Fokus wie in der ersten Hälfte des Buchs. Dachte ich
erst noch, dass es sich um einen Entwicklungsroman handelt, in dem es um die
Charakterbildung von Adela und insbesondere von Bedric geht, so hat sich diese
Erwartung ab der Hälfte des Buchs immer mehr zerschlagen. Das fand ich sehr schade!
Ich empfand die Lektüre ab dem dritten Teil teilweise zu überfrachtet mit
historischen Details (Das kann aber anderen Lesern natürlich ganz anders gehen).
Das liegt daran, dass in der zweiten Hälfte des Buchs die historischen Figuren
auf einmal viel mehr ins Zentrum der Handlung rücken, und das, obwohl sie in
der ersten Hälfte des Buchs nur marginal eine Rolle spielten.
Ich musste mich nach dem Zeitsprung von 10 Jahren (Beginn von Teil 3)
erst einmal orientieren und wieder „einlesen“. Die Handlung geht (leider!) nicht
unmittelbar flüssig weiter. Stattdessen hat sich die Autorin für eine Art Zäsur
entschieden. Das Figurentableau wechselt. Andere (v.a. historische) Figuren
rücken plötzlich in den Fokus. Politik und Ränkelspiele treten in den
Vordergrund. Das Thema der Leibeigenschaft ist dadurch nicht mehr so präsent,
die Figur mit der größten Zugkraft gerät aus dem Blick: Bedric. Die Handlung „zerfasert“
mir zu sehr. Es wurde mir zu trocken. Und das wirkte sich auch auf mein
Lesevergnügen aus. Ich habe die zweite Hälfte des Buchs nicht mehr mit einer
solchen Faszination und Besessenheit gelesen wie die erste Hälfte. Vielleicht
hätte dem Roman doch eine Kürzung gut getan? Für mich hat das Werk ab Teil 3 an
Erzählkraft verloren (andere Leser werden aber gerade die Darstellung von
Politik und Ränkelspielen vielleicht mögen).
Fazit:
Das Werk gliedert sich für mich in zwei Teile. In der ersten Hälfte
des Buchs ist das Thema der Leibeigenschaft zentral. Bedric ist darin die Figur
mit Zugkraft, mit ihm leidet man mit. In der zweiten Hälfte spielt dann das
eine Rolle, was in der ersten Hälfte zu kurz kam: Politik und Ränkelspiele. Auf
einmal treten viele historische Figuren in den Vordergrund. Für mich verlor das
Werk dadurch an Erzählkraft. Denn ein Roman braucht einfach starke Figuren, mit
denen man mitfiebert. Die fehlten mir ab Teil 3 zu sehr. Deswegen kann ich auch
nur 3 Sterne vergeben. Für mich hätte die Autorin sich klarer entscheiden
müssen, welchen Weg sie einschlagen will. Das Werk wirkt dadurch „unrund“. Die
Wechsel der Figurentableaus tun dem Buch nicht gut.
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