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Sonntag, 1. Januar 2023

Gable, Rebecca - Drachenbanner


3 von 5 Sternen


Nicht aus einem Guss


Das Werk „Drachenbanner“ von Rebecca Gable ist ein umfangreiches Buch, das insgesamt vier Teile umfasst. Ich nehme mein Fazit einmal vorweg: Die ersten beiden Teile, die in den Jahren 1238-1248 angesiedelt sind und ungefähr die Hälfte des Buchs ausmachen, haben mir gut gefallen. Eindrucksvoll und lebendig werden hier das Leben in Leibeigenschaft und das am Hofe beschrieben, und zwar am Beispiel der beiden Charaktere Adela von Waringham und dem Leibeigenen Bedric. Vor allem die Figurenzeichnung von Bedric empfand ich als sehr gelungen. Doch dann kommt es zu einem Bruch. Es gibt einen Zeitsprung von 10 Jahren und es folgen Teil 3 (1258-1259) und Teil 4 (1263-1265). Diese zweite Hälfte des Buchs hat mich dann weniger überzeugt.

 

Doch warum empfand ich das so? Im ersten Teil ist die Charakterzeichnung, in meinen Augen vor allem die von Bedric, absolut überzeugend gestaltet worden. Wir verfolgen sein Schicksal und leiden v.a. mit ihm mit. Es wird den Lesern lebendig vor Augen geführt, wie sich das Leben als Leibeigener anfühlt und wie es wohl gewesen sein mag, im 13. Jh. von dem Willen eines Grundherrn abhängig zu sein. Bedric ist ausgeliefert, er hat keine Rechte. Er muss Schikanen und Ungerechtigkeiten erdulden, doch er hat ein Ziel vor Augen: die Freiheit. Und er benimmt sich nicht wie der typische Leibeigene, sondern leistet Widerstand und zeigt oft Mut (oder Leichtsinn?), indem er sich widersetzt. Man fiebert mit ihm mit. Die Geschichte um Bedric fesselt und die detailgetreue, realistische Schilderung der Lebensumstände überzeugt. Das Machtgefälle, die Hierarchien und die Unterordnung kommen sehr anschaulich zum Ausdruck. Man erhält einen authentisch anmutenden Einblick in das Leben von Leibeigenen sowie in das bäuerliche und dörfliche Leben allgemein. Am Beispiel der Zwangsheirat von Eldrida, der Mutter von Bedric, mit Wigot wird die Rechtlosigkeit z.B. gut deutlich.

 

Auch Adelas Charakterisierung ist gelungen. Sie erscheint als starke, wehrhafte Frauenfigur, die sich auch gegen übergriffige Männer wehrt. Und es ist gut, dass bei der Vielzahl der auftretenden Figuren die beiden Protagonisten Bedric und Adela den roten Faden bilden. Sie stehen klar im Mittelpunkt und geraten auch nicht aus dem Blick (zumindest in Teil 1 und Teil 2). Das ist gut! Und es ist auffällig, mit welcher Detailverliebtheit die Autorin die Handlungselemente ausschmückt. Ihr Schreibstil wirkt unheimlich informationsreich, aber nicht überladen. Bis ins kleinste Detail werden die Situationen beschrieben, so dass ein sehr gutes Bild vorm inneren Auge entsteht. Und gerade das erzeugt den Realismus und die Authentizität. Toll!

 

Die Fragen, die mir während des Lesens in den Sinn kamen, waren die folgenden: Werden Adela und Bedric zusammenfinden? Werden sie die Standesschranken überwinden? Und wie wird sich ihre Beziehung zueinander entwickeln? Wer jetzt aber befürchtet, es handele sich nur um eine reine Liebesgeschichte, die erzählt wird, den kann beruhigen. Dem ist (glücklicherweise!) nicht so. Denn es gibt einen weiteren roten Faden in diesem Buch: Wird Bedric die Freiheit erlangen? Wenn ja, wie? Und vor allem letzterer Handlungsstrang hat mich emotionalisiert.

 

Nun zu dem, was ich kritisch sehe: Teil 3 und Teil 4. Für mich geraten die beiden zentralen Figuren, Bedric und Adela, zu sehr aus dem Blickfeld. Sie spielen zwar noch eine Rolle, kommen immer einmal wieder vor, stehen aber längst nicht mehr so im Fokus wie in der ersten Hälfte des Buchs. Dachte ich erst noch, dass es sich um einen Entwicklungsroman handelt, in dem es um die Charakterbildung von Adela und insbesondere von Bedric geht, so hat sich diese Erwartung ab der Hälfte des Buchs immer mehr zerschlagen. Das fand ich sehr schade! Ich empfand die Lektüre ab dem dritten Teil teilweise zu überfrachtet mit historischen Details (Das kann aber anderen Lesern natürlich ganz anders gehen). Das liegt daran, dass in der zweiten Hälfte des Buchs die historischen Figuren auf einmal viel mehr ins Zentrum der Handlung rücken, und das, obwohl sie in der ersten Hälfte des Buchs nur marginal eine Rolle spielten.

 

Ich musste mich nach dem Zeitsprung von 10 Jahren (Beginn von Teil 3) erst einmal orientieren und wieder „einlesen“. Die Handlung geht (leider!) nicht unmittelbar flüssig weiter. Stattdessen hat sich die Autorin für eine Art Zäsur entschieden. Das Figurentableau wechselt. Andere (v.a. historische) Figuren rücken plötzlich in den Fokus. Politik und Ränkelspiele treten in den Vordergrund. Das Thema der Leibeigenschaft ist dadurch nicht mehr so präsent, die Figur mit der größten Zugkraft gerät aus dem Blick: Bedric. Die Handlung „zerfasert“ mir zu sehr. Es wurde mir zu trocken. Und das wirkte sich auch auf mein Lesevergnügen aus. Ich habe die zweite Hälfte des Buchs nicht mehr mit einer solchen Faszination und Besessenheit gelesen wie die erste Hälfte. Vielleicht hätte dem Roman doch eine Kürzung gut getan? Für mich hat das Werk ab Teil 3 an Erzählkraft verloren (andere Leser werden aber gerade die Darstellung von Politik und Ränkelspielen vielleicht mögen).

 

Fazit

Das Werk gliedert sich für mich in zwei Teile. In der ersten Hälfte des Buchs ist das Thema der Leibeigenschaft zentral. Bedric ist darin die Figur mit Zugkraft, mit ihm leidet man mit. In der zweiten Hälfte spielt dann das eine Rolle, was in der ersten Hälfte zu kurz kam: Politik und Ränkelspiele. Auf einmal treten viele historische Figuren in den Vordergrund. Für mich verlor das Werk dadurch an Erzählkraft. Denn ein Roman braucht einfach starke Figuren, mit denen man mitfiebert. Die fehlten mir ab Teil 3 zu sehr. Deswegen kann ich auch nur 3 Sterne vergeben. Für mich hätte die Autorin sich klarer entscheiden müssen, welchen Weg sie einschlagen will. Das Werk wirkt dadurch „unrund“. Die Wechsel der Figurentableaus tun dem Buch nicht gut.

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