Jetzt erstmal einen Quittenschnaps
Von Judith Merchant kenne ich „Die Lügen jener Nacht“, „Atme!“ und
„Schweig!“. Und vor allem die letzten beiden Bücher sind mir sehr positiv im
Gedächtnis geblieben (vgl. dazu frühere Rezensionen), ich habe sie
verschlungen. Aus diesem Grund wollte ich einmal wieder etwas von der Autorin
lesen, ich mag ihren Schreibstil sehr. Begonnen hat Judith Merchant mit dem
Genre „Kriminalroman“. Und in dem Werk „Nibelungenmord“, das ich besprechen
möchte, geht es noch nicht so psychologisch zu wie in den nachfolgenden Werken.
Es handelt sich um den Auftakt zu einer Reihe um den Kommissar Jan Seidel und
seiner eigenwilligen Großmutter Edith (Miss Marple lässt grüßen). Und eines
kann ich schon vorweg nehmen: Der Kriminalroman hat mir sehr gut gefallen, er
weist einige lobenswerte kreative Ideen auf, der Schreibstil überzeugt. Einige
Verlage hätten diesen Krimi vermutlich sogar als Thriller vermarktet, denn es
geht durchaus dynamisch und wendungsreich zu. Das hätte ich so im Vorfeld gar
nicht erwartet.
Was auffällt: Der Krimi nimmt sich selbst nicht zu ernst, ein großes
Augenzwinkern schwingt oft mit. Das Spießbürgerliche blitzt immer wieder auf.
Das hat mir gut gefallen. Und auch die Zeichnung der Figuren überzeugt. Die
Autorin zeigt dabei eine Vorliebe für ausgefallene, teils skurrile Details, die
sie ihren Charakteren verleiht. Im Zentrum steht Jan Seidel, ein Kommissar der
bei seiner Großmutter wohnt, ein Freund der Lederjacke. Er redet lieber über
Leichen als über seine geplatzte Hochzeit und vergisst auch gern einmal seine
Dienstwaffe. Ihm zur Seite steht seine hormongeflutete Partnerin Elena: die mit
dem breiten Rücken. Sehr amüsant! Welche Figur zu wem in welcher Beziehung
steht wird erst nach und nach aufgelöst. Die dargestellten
Beziehungskonstellationen sind nach meinem Empfinden ausgeklügelt und
raffiniert. Alle Figuren weisen ein höchst turbulentes Liebesleben auf.
Flotte Szenenwechsel verleihen dem Inhalt eine fast „thrillerhafte“
Dynamik. Vor allem gegen Ende nimmt das Tempo deutlich zu und die Wendungen
werden zahlreicher. Und eine weitere amüsante, kreative Idee: Jans Oma Edith
mischt sich in die Ermittlungen ein und erweist sich als Buchhändlerin mit besonders
guter Menschenkenntnis, die gern auch mal bei Kaffee und Kuchen Zeugen vernimmt.
Seine Nachttischlektüre sollte man besser vor ihr verstecken. Mein Höhepunkt
des Buchs: Ediths philosophische Überlegungen zu Jans Frühstücksei im
blaugeblümten Eierbecher. Was ich ebenfalls interessant fand: Die Bezüge zum
Nibelungenlied. Man wird während der Lektüre förmlich herausgefordert, sich mit
dem Stoff näher zu beschäftigen. So wird der Notar Michael Sippmeyer mit
Siegfried verglichen, seine verschwundene Ehefrau mit Kriemhild. Doch wer ist
dann Romina? Und eigentlich ist es doch Siegfried, der ermordet wird? Schöne
Idee! Nicht zuletzt fand ich lobenswert, wie das Kunstgewerbe durch den Kakao
gezogen wird. Abschließendes Wort zur Auflösung des Falls: gelungen,
nachvollziehbar und in sich schlüssig.
Fazit:
Ein rundum gelungener Krimi, der auch zum Schmunzeln einlädt.
Die Autorin hat viele kreative Ideen, ihr Schreibstil überzeugt. Die
Figurenkonstellation ist durch die vielen Dreiecksbeziehungen ausgeklügelt.
Tempo und Dynamik sind für einen Krimi stark ausgeprägt. Die Figuren sind mit
vielen liebenswerten, skurrilen Attributen ausgestattet worden. Für mich absolut
kein „Einheitsbrei“, der hier geboten wird. Aber für alle, die die Thriller „Schweig!“
und „Atme!“ großartig fanden, noch der Hinweis, dass es hier längst nicht so
psychologisch zugeht.
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