Ein vertrackter Fall für Eddie Flynn
Auf Steve Cavanagh bin ich erstmals durch seinen Justizthriller
„Thirteen“ aufmerksam geworden, der mir richtig gut gefallen hat (vgl. eine
frühere Rezension). Aus diesem Grund wollte ich mehr von diesem Autor lesen und
freute mich, dass im Goldmann-Verlag noch weitere Werke von ihm ins Deutsche
übersetzt worden sind. Den Anfang macht „Fifty-fifty“ (und es werden noch
weitere Bücher von Cavanagh übersetzt). Und „Fifty-Fifty“ ist eines dieser
Bücher, in denen man sofort beim Lesen mitgerissen wird, weil die Grundidee
schon gut ausgeklügelt ist. Ausgangsfrage: Welche Schwester sagt die Wahrheit,
welche lügt? Täuscht sich Eddie Flynn mit seiner Einschätzung oder wird er
Recht behalten, dass seine Mandantin die Wahrheit sagt?
Das Figurenensemble ist geschickt arrangiert. Wir haben zwei
Schwestern, die sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben, und
Anwälte, die sich mit ihren Strategien gegenüberstehen. Ebenfalls gelungen: Die
Perspektive der Täterin wird beleuchtet, ohne dass man weiß, um wen es sich
handelt. Diese zwischengeschobenen Kapitel sind mit der Überschrift „Sie“
versehen und werden aus der ungewöhnlichen Perspektive der dritten Person
geschildert (erlebte Rede!). Doch wer ist „Sie“? Die Auflösung bleibt bis zum
Ende spannend! Sehr gelungen! Die Charaktere haben in meinen Augen allesamt
Zugkraft, wir haben die beiden unterschiedlichen Schwestern, von denen eine als
„It-Girl“ gezeichnet wird, die andere hingegen erscheint als gebrochene Figur
mit psychischen Problemen. Zu Eddie Flynn muss ich nicht viel sagen. Er ist
charismatisch und durch sein cleveres Agieren wird jeder Prozess zu einem
spannenden Ereignis. Was ich auch sehr an ihm mag: seine unkonventionellen
Methoden und seine manchmal etwas hitzköpfige Art. Ihm gegenüber steht Kate, eine
Anwältin, die sich ihren Weg vor Gericht erst einmal erkämpfen muss und gerade
deshalb die Sympathie des Lesers gewinnt (Die „me-too-Debatte“ lässt grüßen).
Sie ist noch unerfahren und jung, aber nicht weniger gewitzt als Eddie. Eine
ebenbürtige Gegnerin. Ein tolles Duell. Packend zu lesen!
Was mir ebenfalls gut gefallen hat, ist der Einsatz der erlebten Rede
im Zusammenhang mit den Täter-Kapiteln. Eine solche erzählerische Gestaltung
liest man selten und sie erfüllt eine besondere Funktion: Es wirkt, als ob ein
Erzähler über die beteiligte Person spricht. Die Gedanken und Gefühle werden
also nicht von der Figur selbst berichtet. Das macht Sinn, sonst würde man
vielleicht schon frühzeitig erahnen, um welche der Schwestern es sich handelt.
Der Erzähler ist damit ganz nah dran an der Täterin. Und der Leser nimmt die
Gedanken und Gefühle vermittelt durch die Erzählerinstanz wahr. Sehr geschickt
vom Autor arrangiert! Klasse! Und gleichzeitig sind die Gedankengänge der
Täterin verstörend. Es wird gut eine psychopathische Persönlichkeitsstörung
deutlich, und das auf realistische Art und Weise.
Was ebenfalls sehr schön deutlich wird (wie schon bei „Thirteen“),
sind die Machtspiele zwischen den Verteidigern und der Anklage. Und was dieses
Mal besonders vertrackt ist: Der Ankläger ist Gegner der Verteidigung und Eddie
und Kate müssen gegeneinander antreten und zeitgleich vor der Anklage bestehen.
Und zu Beginn gibt es sogar noch Rivalitäten innerhalb eines Verteidigerteams.
Diese verfahrene Situation ist durchdacht und einfach kreativ umgesetzt! Ein
Lob an den Autor! Der Prozess ist durch ein taktisches Agieren geprägt und das
verleiht dem Ganzen in meinen Augen eine ungeheure „Triebkraft“. Eine weitere
spannende Frage: Soll das Verfahren aufgeteilt werden oder nicht? Sollen beide
Schwestern also in einem Prozess verurteilt werden oder in zwei voneinander
getrennten Verfahren?
Grundsätzlich schafft Cavanagh es immer wieder, der Handlung
spannungserregende Impulse zu verleihen. Es kommt keine Langeweile auf. So fand
ich auch die Idee mit dem Lügendetektortest interessant und reizvoll! Auch
werden punktuell immer mal wieder einige juristische Hintergründe beleuchtet (allerdings
nicht in einem solchen Umfang wie noch bei „Thirteen“). Dieses Mal wird beispielsweise
auf interessante Art und Weise erläutert, was es mit einem Befangenheitsantrag
auf sich hat. Nicht zuletzt übten die Kreuzverhöre beim Lesen einen besonderen
Reiz auf mich aus. Kurzum: Das war mit Sicherheit nicht mein letztes Buch von
Steve Cavanagh!
Fazit:
Ein Justiz-Thriller, der den Vergleich mit „Thirteen“
standhält. Der Fall ist äußerst vertrackt und wird dadurch sehr spannend. Das
Zusammenspiel von Anklage und Verteidigung sowie von Kate und Eddie überzeugt.
In meinen Augen stimmt in diesem Thriller einfach alles. Auch die Auflösung am
Ende ist packend und wendungsreich. Solche Bücher gibt es selten, deshalb ganz
klar 5 Sterne!
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