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Dienstag, 10. Januar 2023

Cavanagh, Steve - Fifty-fifty


5 von 5 Sternen


Ein vertrackter Fall für Eddie Flynn


Auf Steve Cavanagh bin ich erstmals durch seinen Justizthriller „Thirteen“ aufmerksam geworden, der mir richtig gut gefallen hat (vgl. eine frühere Rezension). Aus diesem Grund wollte ich mehr von diesem Autor lesen und freute mich, dass im Goldmann-Verlag noch weitere Werke von ihm ins Deutsche übersetzt worden sind. Den Anfang macht „Fifty-fifty“ (und es werden noch weitere Bücher von Cavanagh übersetzt). Und „Fifty-Fifty“ ist eines dieser Bücher, in denen man sofort beim Lesen mitgerissen wird, weil die Grundidee schon gut ausgeklügelt ist. Ausgangsfrage: Welche Schwester sagt die Wahrheit, welche lügt? Täuscht sich Eddie Flynn mit seiner Einschätzung oder wird er Recht behalten, dass seine Mandantin die Wahrheit sagt?

 

Das Figurenensemble ist geschickt arrangiert. Wir haben zwei Schwestern, die sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben, und Anwälte, die sich mit ihren Strategien gegenüberstehen. Ebenfalls gelungen: Die Perspektive der Täterin wird beleuchtet, ohne dass man weiß, um wen es sich handelt. Diese zwischengeschobenen Kapitel sind mit der Überschrift „Sie“ versehen und werden aus der ungewöhnlichen Perspektive der dritten Person geschildert (erlebte Rede!). Doch wer ist „Sie“? Die Auflösung bleibt bis zum Ende spannend! Sehr gelungen! Die Charaktere haben in meinen Augen allesamt Zugkraft, wir haben die beiden unterschiedlichen Schwestern, von denen eine als „It-Girl“ gezeichnet wird, die andere hingegen erscheint als gebrochene Figur mit psychischen Problemen. Zu Eddie Flynn muss ich nicht viel sagen. Er ist charismatisch und durch sein cleveres Agieren wird jeder Prozess zu einem spannenden Ereignis. Was ich auch sehr an ihm mag: seine unkonventionellen Methoden und seine manchmal etwas hitzköpfige Art. Ihm gegenüber steht Kate, eine Anwältin, die sich ihren Weg vor Gericht erst einmal erkämpfen muss und gerade deshalb die Sympathie des Lesers gewinnt (Die „me-too-Debatte“ lässt grüßen). Sie ist noch unerfahren und jung, aber nicht weniger gewitzt als Eddie. Eine ebenbürtige Gegnerin. Ein tolles Duell. Packend zu lesen!

 

Was mir ebenfalls gut gefallen hat, ist der Einsatz der erlebten Rede im Zusammenhang mit den Täter-Kapiteln. Eine solche erzählerische Gestaltung liest man selten und sie erfüllt eine besondere Funktion: Es wirkt, als ob ein Erzähler über die beteiligte Person spricht. Die Gedanken und Gefühle werden also nicht von der Figur selbst berichtet. Das macht Sinn, sonst würde man vielleicht schon frühzeitig erahnen, um welche der Schwestern es sich handelt. Der Erzähler ist damit ganz nah dran an der Täterin. Und der Leser nimmt die Gedanken und Gefühle vermittelt durch die Erzählerinstanz wahr. Sehr geschickt vom Autor arrangiert! Klasse! Und gleichzeitig sind die Gedankengänge der Täterin verstörend. Es wird gut eine psychopathische Persönlichkeitsstörung deutlich, und das auf realistische Art und Weise.

 

Was ebenfalls sehr schön deutlich wird (wie schon bei „Thirteen“), sind die Machtspiele zwischen den Verteidigern und der Anklage. Und was dieses Mal besonders vertrackt ist: Der Ankläger ist Gegner der Verteidigung und Eddie und Kate müssen gegeneinander antreten und zeitgleich vor der Anklage bestehen. Und zu Beginn gibt es sogar noch Rivalitäten innerhalb eines Verteidigerteams. Diese verfahrene Situation ist durchdacht und einfach kreativ umgesetzt! Ein Lob an den Autor! Der Prozess ist durch ein taktisches Agieren geprägt und das verleiht dem Ganzen in meinen Augen eine ungeheure „Triebkraft“. Eine weitere spannende Frage: Soll das Verfahren aufgeteilt werden oder nicht? Sollen beide Schwestern also in einem Prozess verurteilt werden oder in zwei voneinander getrennten Verfahren?

 

Grundsätzlich schafft Cavanagh es immer wieder, der Handlung spannungserregende Impulse zu verleihen. Es kommt keine Langeweile auf. So fand ich auch die Idee mit dem Lügendetektortest interessant und reizvoll! Auch werden punktuell immer mal wieder einige juristische Hintergründe beleuchtet (allerdings nicht in einem solchen Umfang wie noch bei „Thirteen“). Dieses Mal wird beispielsweise auf interessante Art und Weise erläutert, was es mit einem Befangenheitsantrag auf sich hat. Nicht zuletzt übten die Kreuzverhöre beim Lesen einen besonderen Reiz auf mich aus. Kurzum: Das war mit Sicherheit nicht mein letztes Buch von Steve Cavanagh!

 

Fazit

Ein Justiz-Thriller, der den Vergleich mit „Thirteen“ standhält. Der Fall ist äußerst vertrackt und wird dadurch sehr spannend. Das Zusammenspiel von Anklage und Verteidigung sowie von Kate und Eddie überzeugt. In meinen Augen stimmt in diesem Thriller einfach alles. Auch die Auflösung am Ende ist packend und wendungsreich. Solche Bücher gibt es selten, deshalb ganz klar 5 Sterne!

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