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Freitag, 27. September 2024

Stuckrad-Barre, Benjamin von - Panikherz


Kämpferherz



Zu Beginn möchte ich erst einmal loswerden, dass ich vor dem Autor Stuckrad-Barre größten Respekt habe. In dem Buch „Panikherz“ schildert er, aus welcher tiefen Lebenskrise er sich herausgekämpft hat. Sein Erfolg als Autor hat ihn anfällig für die Verlockungen von Drogen werden lassen, die er auf selbstzerstörerische Art konsumierte. Und als Leser erleben wir mit, wie Stuckrad-Barre sich immer wieder auf Neue in Entzugskliniken begibt und doch wieder rückfällig wird. Es ist ein harter Kampf, aus dem er am Ende als Sieger hervorgeht. Er befreit sich letztlich von seiner Drogensucht. Ich ziehe meinen Hut vor diesem Kraftakt! Sein autobiographisches Buch „Panikherz“, in dem der Autor sehr offen mit seinen „Dämonen“ umgeht, hätte auch „Kämpferherz“ heißen können.

 

Der Titel „Panikherz“ ist nach meinem Verständnis aber auch eine Anspielung auf ein großes Vorbild von Stuckrad-Barre. In seinem Buch verneigt er sich vor Udo Lindenberg, der ihn bei seinem Kampf gegen die Sucht großartig unterstützt hat. Das wird immer wieder deutlich. Udo war für Stuckrad-Barre schon in der Jugend ein Idol, als er dessen Platten für sich entdeckte und die Texte auswendig lernte. Kurzum: Die Bewunderung für den Sänger wird nur allzu deutlich. Die Musik von Udo zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben des Autors und wird immer wieder zum seelentröstenden Fluchtpunkt. An vielen Stellen im Buch findet man Passagen aus Udos Liedern, die passend in den inhaltlichen Kontext eingefügt werden.

 

Darüber hinaus gewährt Stuckrad-Barre den Lesern einen sehr persönlichen, offenherzigen Einblick in seine Biographie als Pastorensohn, und das auf humorvolle, selbstironische Art und Weise in einem angenehm plauderhaften Ton. Die sprachgestalterische Seite ist dabei oft kreativ und spielerisch. Die Lektüre macht Spaß, trotz der Tragik der geschilderten Lebenskrise. Es ist absolut kein trauriges, selbstmitleidiges Buch.

 

Für mich als Göttinger waren besonders Stuckrad-Barres Göttinger Jahre interessant zu lesen. So beschreibt er z.B., wie er als Plattenkritiker im Göttinger Stadtmagazin „Nightlife“ tätig war und schildert seine schicksalshafte Begegnung mit dem damaligen Herausgeber des Magazins, Christoph Reisner, der später Begründer des Göttinger Literaturherbstes werden sollte. Mit der Zeit „rutscht“ er immer mehr hinein in diese Welt von Musik, Kultur und Künstlertum, er entwickelt sein eigenes Schreibhandwerk weiter und wird schließlich selbst Autor („Soloalbum“). Dabei wird auch deutlich: Alkohol und Drogen sind ständige Begleiter.

 

Das „rauschhafte“ Leben nach der ersten Buchveröffentlichung findet ebenfalls Erwähnung. Und es wird deutlich, dass Stuckrad-Barre mehr will. Er wird regelrecht „erfolgshungrig“ und genießt das Rampenlicht. Er sei in ein Karussell eingestiegen, das sich immer schneller gedreht und ihn schließlich aus der Bahn geworfen habe, so der Autor. Ein weiteres zentrales Thema, über das er ganz offen und unverblümt spricht, ist seine Essstörung, die sich bis hin zur Bulimie entwickelt. Wir tauchen ein in die Gedankenwelt der gefährlichen Selbstwahrnehmung eines Magersüchtigen und Junkies. Und Stuckrad-Barre ist hart in seiner Selbstanalyse, beschönigt nichts. Vor den Augen der Leser entspinnt sich ein Akt der Selbstzerstörung. Viele Klinikaufenthalte bringen keinen Erfolg. Niemand kann den Autor vor sich selbst schützen.

 

Und mitten in dieser schweren Zeit wird Udo Lindenberg zu einer wichtigen Stütze für Stuckrad-Barre. Er unternimmt einiges, um „Stuckimann“ aus seinem Loch herauszuziehen. Die Schilderungen des Autors über den Sänger sind herzergreifend. Udo wirkt warmherzig, sympathisch, hilfsbereit. Er hat das Herz am rechten Fleck, hält zu Stuckrad-Barre, fängt ihn auf. So einen Freund kann sich jede und jeder, die oder der in einer Lebenskrise steckt, nur wünschen. Und auch der Bruder des Autors hat großen Anteil daran, dass es Stuckrad-Barre letztlich gelingt, seine Sucht zu besiegen und einen Lebenswandel zu vollziehen. Noch mal gut gegangen…


Neben Udo finden auch viele weitere Prominente Erwähnung, auf die Stuckrad-Barre im Laufe seines ereignisreichen Lebens trifft. Dabei plaudert der Autor offen aus dem Nähkästchen. So findet z.B. der amerikanische Autor Bret Easton Ellis häufiger Erwähnung, aber auch Harald Schmidt oder Thomas Gottschalk kommen vor. Fazit: Wer an einem sehr, sehr persönlichen Bericht des Autors über seine bewegte Biographie interessiert ist und sich von den Themen „Drogensucht“ und „Essstörung“ nicht zu sehr getriggert fühlt, der kann mit diesem Buch in meinen Augen nichts falsch machen. Stuckrad-Barre schreibt mit viel Ironie, offenherzig und originell. Hat mir sehr gut gefallen!

Sonntag, 22. September 2024

Logan, T. M. - The Parents


Verzweifelte Eltern



Von T. M. Logan habe ich zuletzt „The Catch“ gelesen und fand es klasse (vgl. eine frühere Rezension). Dafür haben mich bei „Trust me“ nur die ersten 100 Seiten überzeugt. Wie schlägt sich nun sein neuester ins Deutsche übersetzte Thriller „The parents“? Eines steht jedenfalls fest: Wieder hat sich Logan ein packendes Ausgangsszenario übelegt, das sofort mitnimmt und mit Urängsten spielt.

Von fünf Jugendlichen, die nachts im Wald unterwegs waren, kehrt der Neffe des Ich-Erzählers nicht zurück (Zac). Der Ich-Erzähler macht sich mit seinem Bruder daraufhin auf die Suche nach Zac. Und als Leser hatte ich sofort ein ungutes Gefühl.  Letztlich muss sogar die Polizei eingeschaltet werden… Doch ich will an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Der Thriller wird sehr wendungsreich erzählt (gerade zu Beginn), so dass eine ausführlichere Darlegung des Inhalts bereits zu viel verraten würde.

 

Im Zentrum stehen die folgenden Frage: Was ist in der Nacht passiert, als die Jugendlichen sich im Wald getroffen haben? Und was haben die Beteiligten, die am nächsten Morgen zurückgekehrt sind, zu verbergen? Thematisch geht es um den Zwispalt von elterlicher Kontrolle auf der einen Seite und von jugendlichem Freiheitsdrang auf der anderen Seite. Wie weit können und sollten Eltern ihren Kindern vertrauen? Wie verhalten sich Eltern, wenn ihr Kind in Gefahr gerät? Es wird gut deutlich, welche heftigen Sorgen Eltern auszustehen haben, wenn der Nachwuchs nicht nach Hause kommt, und wie schnell Eltern-Kind-Beziehungen durch Unehrlichkeit aus dem Gleichgewicht geraten können. Durch die belastende Situation wird aus Sorgen rasch Verzweiflung…

 

Der Inhalt wird nach meinem Gefühl packend, ereignis- und wendungsreich dargelegt und reißt von der ersten Seite an mit. Die Spannung war nach meinem Empfinden v.a. zu Beginn und am Ende sehr stark ausgeprägt (das Finale fand ich stark!), der Mittelteil zog sich stellenweise etwas. Der Thriller ist jedenfalls besser als Durchschnitt, aber auch kein herausragendes Buch, das eine Sogwirkung auf mich entfalten konnte. Es ist besser als „Trust me“, aber nicht so gut wie „The Catch“. Von mir gibt es 4 Sterne.

Donnerstag, 19. September 2024

Reifenberg, Frank Maria - Genesis Rebooted. Ein Experiment, das außer Kontrolle gerät


Spannend, packend, fesselnd



Eines vorweg: Dass der Autor sich als ehemaliger Buchhändler insbesondere für die Leseförderung von Jungen engagiert, finde ich richtig, wichtig und absolut lobenswert! Mit seinem eigenen Buch leistet er, wie ich finde, auch direkt einen Beitrag dafür. Und mit dem Amnesie-Motiv erregt er auch direkt zu Beginn Aufmerksamkeit und Neugier, was zum Weiterlesen animieren dürfte (ich persönlich lese immer wieder gerne solche Bücher, in denen dieses Motiv unterschiedlich ausgestaltet wird).

 

Raphael ist 16 Jahre, führt Tagebuch, um seinen tristen, eintönigen Tagesablauf und seine Gedanken festzuhalten, lebt allein unter strenger Bewachung in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten und besitzt zunächst keinerlei Erinnerungen. Wo ist er? Warum ist er dort? Wer sind die namenlosen Leute in Overalls, die ihm das Essen bringen? Warum darf er mit niemand anderem kommunizieren und wird dort festgehalten? Raphaels Zustand ist geprägt von Anspannung und Ratlosigkeit, das wird gut greifbar. Und als Leserinnen und Leser erleben wir mit, wie er nach und nach Erinnerungsfetzen rekonstruiert und sich an sein früheres Leben erinnert. Eines Tages entdeckt er im Duschraum dann eine Nachricht auf der Folgendes steht: „Wir müssen hier raus. Schnell!“ Was hat es damit auf sich? Von wem stammt diese Nachricht? Und was wird Raphael nun unternehmen?

 

Im weiteren Handlungsverlauf nimmt die Darstellung von Raphaels Vergangenheit immer mehr Konturen an und wird immer ausführlicher. Der Autor schafft es sehr gut, Spannung zu erzeugen und sie zu halten. Ich war sehr auf die Auflösung am Ende gespannt. Und eines kann ich sagen: Diese hat es in sich! Die Konzeption des Spannungsbogens ist also absolut gelungen, ich war gefesselt. Ein absoluter Pluspunkt dieses Buchs! Im Nachhinein wird mir durch den Klappentext und den Titel aber schon zu viel verraten. Hier wäre weniger mehr gewesen…

 

Wäre dieses Buch sogar für einen Einsatz in der Schule als Klassenlektüre geeignet? Nach meinem Dafürhalten leider nicht. Mir fehlten thematische Anknüpfungspunkte, die man im Unterricht weiter vertiefen könnte. Hier gibt das Buch in meinen Augen insgesamt leider zu wenig her. Einzelne Themen (wie z.B. der Klimawandel oder die Krankheit von Raphaels Bruder) werden nur sehr knapp und schlagwortartig angerissen. Und noch etwas fehlte mir: Die Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren bieten wenig Vertiefungs- und Analysemöglichkeiten. Kleiner Tipp: Inhaltlich lassen sich wunderbar Bezüge herstellen zu dem aktuellen Thriller von Andreas Eschbach („Die Abschaffung des Todes“).

Donnerstag, 12. September 2024

Grann, David - Der Untergang der Wager


Ein Buch als Fenster zu einer anderen Epoche



Lust auf einen historischen Seefahrer-Abenteuerroman, der noch dazu auf wahren Begebenheiten und einer exakten Recherche des Autors beruht? Dann kann man mit „Der Untergang der Wager“ von David Grann nichts falsch machen (in den USA war der Titel übrigens ein großer Erfolg). Man erhält durch die Lektüre einen sehr atmosphärisch aufgeladenen Einblick in die Zeit der Seefahrt des 18. Jh.

 

Wir erfahren zu Beginn z.B., auf welche Weise die Besatzung eines Schiffs rekrutiert worden ist. Meist handelte es sich bei den Mannschaftsmitgliedern um verzweifelte Existenzen, um Gescheiterte und Ausgestoßene der Gesellschaft. Der Großteil der Männer wird zwangsrekrutiert. Darüber hinaus lernen wir das Leben an Bord kennen. Die bestehenden Hierarchien und Lebensbedingungen werden gut greifbar. Er herrscht eine strenge Disziplin. Körperliche Züchtigungen sind an der Tagesordnung. Es kommt gut zum Ausdruck, welche Tätigkeiten auf dem Schiff erforderlich waren, um den Betrieb am Laufen zu halten. Und die Beschreibungen sind so bildhaft und detailliert, dass man beim Lesen in eine vergangene Epoche eintaucht. Großartig!

 

Weitere Highlights, die ich spannend und interessant zu lesen fand: Wie läuft es ab, wenn ein Schiff auf hoher See in ein Gefecht mit einem gegnerischen Schiff gerät. Was geht den Männern dabei durch den Kopf? Und welche Vorbereitungen müssen für Angriff und Verteidigung getroffen werden? Im Handlungsverlauf werden auch immer wieder einzelne Mannschaftsmitglieder herausgegriffen und uns näher vorgestellt, so dass wir sie besser kennen lernen. Das schafft eine gewisse Nähe zu den Figuren. Und noch etwas, das aus heutiger Sicht kaum vorstellbar ist: Die Männer an Bord hatten aufgrund der hygienischen Bedingungen und Mangelernährung mit vielen Krankheiten zu kämpfen (Fleckflieber, Skorbut). Der Tod ist als Begleiter allgegenwärtig und die medizinischen Möglichkeiten sind noch arg beschränkt. Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar, auf welche abenteuerliche Reise sich die Männer damals begeben haben. Sie waren dazu bereit, unglaublich große Entbehrungen auf sich zu nehmen. Und es ist unfassbar zu lesen, was die Mannschaft alles hat ertragen müssen und welches Leid sie über die gesamte Zeit ihrer Mission hinweg ausgehalten hat.

 

Beim Lesen wird die herausfordernde Mission der Umrundung von Kap Hoorn lebendig. Das liest sich ebenfalls sehr spannend. Der gefährliche Kampf gegen die Elemente kommt gut zum Ausdruck. Und es passiert das, was der Titel bereits verrät: Die Wager erleidet Schiffbruch. Ein Teil der Männer schafft es, sich auf eine nah gelegene Insel zu retten und muss fortan ums Überleben kämpfen. Sie müssen sich in der neuen feindlichen Umgebung einrichten, Nahrung beschaffen und der Kälte trotzen. Die Nerven der Männer sind zunehmend angespannt, es kommt immer häufig zu Reibereien sowie Gewaltausbrüchen und die strenge Hierarchie, die noch an Bord galt, verliert mehr und mehr an Bedeutung. Es kommt zu Gehorsamsverweigerungen und mit drakonischen Strafen versuchen die Vorgesetzten die Ordnung aufrechtzuerhalten. Doch es kommt, wie es kommen muss. Die Situation auf der Insel eskaliert. Doch ich will hier nicht verraten, was sich genau ereignet hat. Das möge jede und jeder selbst herausfinden. Nur so viel: Die Überlebenden, die es später noch zurück ins Empire schaffen, müssen sich vor einem Kriegsgericht verantworten. Es kommt zu einer Verhandlung, die am Ende des Buchs ebenfalls geschildert wird.

 

Letztlich entsteht ein prächtiges „Gemälde“ der damaligen Zeit und es wird klar, dass sich nur schwer rekonstruieren lässt, was um den Schiffbruch der Wager herum genau passiert ist. Es konkurrieren zu viele unterschiedlichen Quellen und Aussagen miteinander. Doch ich bewundere den Autor für seine ausführliche Recherche. Er hat unglaublich viele Quellen ausgewertet (das Literaturverzeichnis belegt das), um dem Geschehen rund um die Wager Leben einzuhauchen: Tagebücher, Logbücher, Briefe, offizielle Dokumente aus Archiven, Reiseberichte, Gerichtsunterlagen, Zeitungsberichte. Und als ob das noch nicht reicht, hat der Autor auch eine Recherchereise zu dem Ort unternommen, an dem die Wager gestrandet ist. Das verleiht der Schilderung der Örtlichkeiten noch einmal mehr Authentizität. Großartig! Am Ende punktet das Buch zudem noch mit einem Bildteil in Farbe (33 Illustrationen sind enthalten). Die Bilder vermitteln ebenfalls einen guten Eindruck von den Geschehnissen rund um die Wager. Was will man mehr? Von mir gibt es für dieses Buch 5 Sterne. Ich habe durchgängig mit Interesse gelesen und es hat mir viel Lesefreude bereitet, am Beispiel der Wager in diese vergangene Epoche einzutauchen. Bitte mehr solcher Bücher!

Sonntag, 8. September 2024

Olsberg, Karl - Girl in a strange land


Die gefährlichen Verlockungen virtueller Realität



Vor kurzem erst las ich das Jugendbuch „Boy in a white room“ von Karl Olsberg und war sehr angetan davon (vgl. eine frühere Rezension). Deshalb hat mich auch die Fortsetzung „Girl in a strange land“ interessiert. Und was soll ich sagen, auch Band 2 hat mich absolut überzeugt. Ein tolles Jugendbuch, mit dessen Hilfe sich solche Themen wie „virtuelle Realität“, „Wirklichkeitsflucht“ und „Spielsucht“ gewinnbringend vertiefen lassen. Jugendliche Leserinnen und Leser dürften sich in meinen Augen gut durch das breite Spektrum an lebensweltbezogenen Themen angesprochen fühlen. Und was noch wichtig zu wissen ist: Die Kenntnis von Band 1 ist nicht nötig. Band 2 ist eigenständig und unabhängig von Teil 2 lesbar. Doch worum geht es überhaupt?


Erzählt wird aus Sicht einer jugendlichen Ich-Erzählerin Sophie, die in der dörflichen Gemeinschaft „Stillachtal“ lebt und mehr und mehr Schwierigkeiten damit hat, sich in die Bräuche dort einzufügen. Denn es wird schnell deutlich, dass die Bewohner dieses 5000-Seelen-Dorfes äußerst gottesfürchtig und fromm sind. Sie glauben fest daran, dass Jesus Christus bald auf die Erde zurückkehren wird und sie von ihrem Leid erlösen wird. Das Zusammenleben folgt strengen, religiösen Regeln. Über das Leben außerhalb des sogenannten Tals erfährt man zunächst wenig. Menschen, die in der Außenwelt leben, werden als „Verlorene“ bezeichnet. Die atmosphärischen Schilderungen sind gelungen.

 

Sophie gerät zunehmend in Konflikt mit den Wertvorstellungen, Traditionen und Lebensauffassungen von Stillachtal. Man merkt, dass die Ich-Erzählerin stets Angst davor hat, irgendwelche Verfehlungen zu begehen und bestraft zu werden. Pflichtverletzungen und Sünden werden im Dorf streng von sog. Gotteswächtern geahndet. Es herrschen Denkverbote. Sophies Gefühlschaos (noch befeuert durch die Erste Liebe) und ihr Wunsch, sich vom Leben in der Gemeinschaft zu emanzipieren, werden gut greifbar. Immer stärker lehnt sie die Glaubensindoktrination ab und sie wird immer mutiger, wenn es darum geht, eigenständig zu denken. So beginnt sie z.B. damit, verbotene Bücher zu lesen. Kurzum: Sie durchlebt eine interessante Entwicklung!

 

Als Sophie erfährt, dass ihre große Liebe Mirko unerwartet aus dem Tal geflohen ist, wird sie vor eine schwere Entscheidung gestellt: Wird sie ihn suchen? Wird sie es wagen, das Dorf dafür zu verlassen und ihn wiederfinden? Und was wird sie außerhalb von Stillachtal vorfinden? Wie weit, wird sie ihr Liebeskummer treiben?  Spannende Fragen, die zum Weiterlesen animieren, wie ich finde. Ich will an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Nur so viel: Sophie wird eine futuristische Gesellschaft kennen lernen, die sich sehr, sehr stark vom rückständigen Leben im Dorf unterscheidet. Sie erlebt eine Art „Kulturschock“ und muss sich in der fremdartigen Umgebung erst einmal zurechtfinden. Das alles liest sich sehr packend, bildhaft und ereignisreich. Klasse!


Und Olsberg hat viele kreative Ideen auf Lager, wenn es um die Schilderung neuartiger Technologien geht. Sie sind nicht zu weit hergeholt, sondern nah an der Realität. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in wenigen Jahren solche Entwicklungen, wie sie im Buch beschrieben werden, tatsächlich geben wird. Und die Gefahren, die die Nutzung solcher Technologien mit sich bringt, werden ebenfalls gut deutlich und laden zur Diskussion ein. Die Inhalte lassen sich auch gut auf zeitaktuelle Themen wie „Wirklichkeitsflucht“ und „Spielsucht“ übertragen, wie ich eingangs bereits erwähnt habe. Und auch das Thema „Liebe“ kommt nicht zu kurz. So geht es ebenfalls um die Frage, welche Kraft die Liebe entfalten kann. Fazit: Ein Jugendbuch, das v.a. für computerspielbegeisterte Jugendliche interessant sein dürfte. Von mir gibt es 5 Sterne!

Freitag, 6. September 2024

Peterson, Phillip P. - Luna


Die Risiken bemannter Raumfahrt




Was wäre, wenn die erste touristische Weltraummission zum Mond in einer Katastrophe endete? Und was wäre, wenn nur ein Besatzungsmitglied den Absturz der Rakete überlebt hätte und auf dem Mond auf seine Rettung wartete? Dieses vielversprechende Ausgangsszenario hat Phillip P. Peterson für sein neuestes Werk „Luna“ kreiert. Und der Titel ist dabei doppeldeutig. „Luna“ ist nicht nur die lateinische Bezeichnung für den Erdtrabanten, sondern „Luna“ ist auch der Name der Überlebenden, die sich mit letzter Kraft in eine kärgliche Mondstation retten konnte. Und ich stellte mir sofort die folgenden Fragen: Wie lange kann Luna in der Station überleben (ihr Sauerstoffvorrat ist begrenzt)? Und was wird man tun, um sie zu retten? Wird die Rettungsmission erfolgreich sein?

 

Die Handlung dieses Weltraum-Katastrophen-Thrillers startet unmittelbar, man muss sich nicht erst durch eine lange Vorgeschichte „kämpfen“. Man ist sofort mittendrin. Typisch Peterson! Das mag ich an seinen Büchern. Den Leserinnen und Lesern werden insgesamt drei Perspektiven präsentiert, die munter miteinander abwechseln. In der ersten Perspektive erleben wir mit, wie Luna ums Überleben kämpft (für mich der reizvollste und spannendste Handlungsstrang!). In einem weiteren Blickwinkel sind wir im Raumfahrtkontrollzentrum auf der Erde und sehen, was auf der Erde unternommen wird, um Luna Hilfe zukommen zu lassen. Und in einem weiteren Strang lernen wir die Ingenieurin Charlie kennen, die den Auftrag hat, herauszufinden, warum die Rakete bei der Landung auf dem Mond eine Fehlfunktion hatte. Gab es einen technischen Defekt oder handelt es sich gar um Sabotage? Charlie betreibt eine breite Fehleranalyse und soll weitere Katastrophen bei Raketenmanövern verhindern (ein toller Handlungsstrang für alle technikbegeisterten Leserinnen und Leser).

 

Man merkt, dass Peterson viel fachliche Expertise zu technischen Abläufen bei Raketentriebwerken einbringt, die er aus seiner Berufsbiographie mitbringt (er studierte Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete auch als Ingenieur an Trägerraketenkonzepten, vgl. dazu seine Biographie auf amazon.de). Das finde ich klasse, es wertet den Inhalt noch einmal zusätzlich auf und man spürt einfach, dass der Autor weiß, wovon er schreibt, v.a. wenn Charlie Ursachenforschung betreibt und wenn deutlich wird, auf welch komplexe Weise die technischen Elemente ineinandergreifen müssen, damit eine Rakete sicher starten und landen kann.

 

Doch keine Sorge, auch die Spannung kommt nicht zu kurz. Insbesondere wenn Luna ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, wird klar, dass Peterson weiß, wie man geschickt an der Spannungsschraube dreht. Der Mangel an Sauerstoff sorgt für eine permanente äußere Bedrohung und großen Zeitdruck. Noch dazu muss Luna immer wieder neue Herausforderungen bewältigen. Und am Ende gerät Luna in eine scheinbar ausweglose Situation, wo man sich als Leser fragt, ob und wie sie diese überleben wird. Diese Zutaten haben bei mir Wirkung hinterlassen; ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Klasse! Und auch die Raketenstarts und -landungen sorgen für Anspannung. Auch das kommt hervorragend zum Ausdruck.

 

Was mir auch sehr gut gefallen hat, ist der Umstand, dass Luna eine gewöhnliche (und damit äußerst hilfsbedürftige) Person ist. Sie ist „einfache“ Lehrerin. Allerdings hätte ich mir gut vorstellen können, dass eine findige Lehrerin dem Bodenpersonal noch die ein oder andere gute Idee mit auf den Weg gibt ;-) Dadurch, dass Luna keine Raumfahrtexpertin ist und von den Entscheidungen, die auf der Erde getroffen werden, abhängig ist, werden ihre Not und ihr Ausgeliefertsein nur noch größer. Das ist gut arrangiert! Noch etwas: Einige Dialoge zwischen den Figuren sind so angelegt, dass man über Themen, die die Raumfahrt betreffen, ins Nachdenken gerät. Das hat mir ebenfalls gut gefallen. Es gibt immer einmal wieder Diskussionen, die die verschiedenen Charaktere miteinander führen, die Denkanstöße liefern und mich als Leser dazu herausforderten, eine Position einzunehmen.

 

Und dennoch möchte ich abschließend einen kleinen kritischen Einwand loswerden, der aber nur aus meiner Lesevorliebe heraus resultiert. Für mich hätten die Passagen auf dem Mond noch mehr Raum einnehmen können. Man stelle sich vor, welcher psychischen Belastungssituation Luna ausgesetzt ist und wie sich die Lage auf ihren Zustand auswirkt (und aus dem Sonnenuntergang auf dem Mond hätte man in meinen Augen noch mehr herausholen können…), aber nun gut. Auch die anderen Blickwinkel haben ihre Berechtigung und werden sicherlich ihre Fans finden. Von mir gibt es 5 Sterne. Für mich war das Buch ein echter Kracher. Peterson hat einen richtigen Volltreffer abgeliefert! In meiner Peterson-Hitliste würde das Buch auf Platz 2 landen, direkt hinter „Nano“.

Dienstag, 3. September 2024

House of the Dragon - Staffel 2


Kampf ums Erbe (Vorsicht Spoilergefahr!)




Der Inhalt der ersten Folge von Staffel zwei knüpft nahtlos an die Geschehnisse der ersten Staffel an und endet mit einem Tabubruch: dem Mord an einem Kind. Hier wird in meinen Augen eine Grenze überschritten, die in keiner der vorangegangenen Staffeln (bzw. Büchern) von „GoT“ verletzt worden ist. Finde ich wirklich grenzwertig und abstoßend, das muss ich ehrlich zugeben. Ist die Schilderung eines solchen Tabubruch inzwischen nötig, um noch eine entsprechende emotionale Beteiligung bei den (abgestumpften?) Zuschauern bzw. Lesern hervorzurufen? Armselig! In meinen Augen wäre das nicht erforderlich gewesen. Das hat für mich auch nichts mehr mit dem aus der Literatur bekannten Kindsmord-Motiv zu tun. Denn hier stirbt das Kind durch fremde Hand als Folge eines Auftragsmords.

 

Erzählt wird der Stoff im Anschluss an diesen Tabubruch aus Folge 1 mit großer emotionaler Wucht. Die Handlung lebt wieder von Verrat, Intrigen und Ränkelspielen und kann in dieser Hinsicht nach meinem Empfinden qualitativ mit den ersten Staffeln von „GoT“ und auch mit der ersten Staffel von „HotD“ mithalten. Das wird äußerst spannend aufgezogen. Und der Spannungsbogen der einzelnen Folgen ist auch geschickt konstruiert, am Ende erwartet den Zuschauer stets eine gut arrangierte Spannungsspitze.

 

Im Zentrum steht der Machtkampf von Rhaenyra um die Krone, die ihr durch den Verrat von Alicent vorenthalten worden ist (nicht umsonst sind diese beiden Frauen also auf dem Cover abgebildet). Dabei wird gut deutlich, dass Rhaenyra zu Beginn sehr besonnen agiert, trotz der Trauer über den Verlust ihres Sohnes. Ein deutlicher Kontrast zum unbeherrschten Daemon. Sie will ein großes Blutvergießen um jeden Preis verhindern, sucht dafür sogar das Gespräch mit Alicent. Sie scheut sich davor, die Urgewalt der Drachen im Kampf zu entfesseln. Doch gelingt es Rhaenyra ihren Herrschaftsanspruch auf friedliche Weise geltend zu machen? Oder wird sie ihre Strategie doch noch ändern? Eines kann ich verraten: Rhaenyra durchläuft eine interessante Entwicklung!

 

Rhaenyra kann man als Kontrastfigur wunderbar in Bezug zu Daenerys aus „GoT“ setzen. Letztere wirkte auf mich viel entschlossener und weniger passiv. Sie unternimmt größere Anstrengungen, um ihren Herrschaftsanspruch einzufordern und macht dabei keine Zugeständnisse. Beide Frauenfiguren wiederum sind jedoch stark auf die Hilfe Dritter angewiesen, um ihren Anspruch auf die Krone dann durchzusetzen. Auch viele weitere Charaktere kann man wunderbar miteinander vergleichen. Der Schöpfer dieses Franchise, George R. R. Martin,  hat sich ein großartig angelegtes Beziehungsgeflecht überlegt, mit Figuren, die genügend Tiefe haben und Ecken und Kanten aufweisen. Klasse!

 

Wer groß angelegte epische Schlachten oder erbarmungslose Kämpfe Mann gegen Mann erwartet, der könnte allerdings enttäuscht werden (Ausnahme: Folge 4, die aufgrund eines Wendepunktes in meinen Augen den Höhepunkt der Staffel markiert). Hier hat die zweite Staffel insgesamt wenig zu bieten. Im Vordergrund steht das stattdessen das Schmieden von Allianzen als Vorbereitung auf eine große kommende Schlacht. Und es steht permanent die Frage im Raum, wer sich im Kampf der Machthungrigen am Ende durchsetzen kann. Wer hat die mächtigeren Waffen (= Drachen)? Wer hat die ausgefallenere Taktik? Oder siegt am Ende doch die Diplomatie?

 

Ein weiterer gut angelegter Konflikt, ist die Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern Aegon und Aemond. Aegon als amtierender König erscheint hochmütig und aufbrausend. Noch dazu ist er äußerst abhängig von seinen kompetenten Beratern. Sein Bruder neidet ihm den Thron. Wir erleben mit, wie hinterlistig und niederträchtig Aemond agiert, um Aegon zu schaden. Er kristalliert sich mehr und mehr als der wahre Gegenspieler von Rhaenyra heraus, zumal er den größten Drachen Vhagar kontrolliert.