Kämpferherz
Der
Titel „Panikherz“ ist nach meinem Verständnis aber auch eine Anspielung auf ein
großes Vorbild von Stuckrad-Barre. In seinem Buch verneigt er sich vor Udo
Lindenberg, der ihn bei seinem Kampf gegen die Sucht großartig unterstützt hat.
Das wird immer wieder deutlich. Udo war für Stuckrad-Barre schon in der Jugend ein Idol, als er dessen Platten für sich entdeckte und die Texte
auswendig lernte. Kurzum: Die Bewunderung für den Sänger wird nur allzu
deutlich. Die Musik von Udo zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben des
Autors und wird immer wieder zum seelentröstenden Fluchtpunkt. An vielen
Stellen im Buch findet man Passagen aus Udos Liedern, die passend in den
inhaltlichen Kontext eingefügt werden.
Darüber
hinaus gewährt Stuckrad-Barre den Lesern einen sehr persönlichen, offenherzigen
Einblick in seine Biographie als Pastorensohn, und das auf humorvolle, selbstironische
Art und Weise in einem angenehm plauderhaften Ton. Die sprachgestalterische
Seite ist dabei oft kreativ und spielerisch. Die Lektüre macht Spaß, trotz der
Tragik der geschilderten Lebenskrise. Es ist absolut kein trauriges, selbstmitleidiges Buch.
Für
mich als Göttinger waren besonders Stuckrad-Barres Göttinger Jahre interessant
zu lesen. So beschreibt er z.B., wie er als Plattenkritiker im Göttinger
Stadtmagazin „Nightlife“ tätig war und schildert seine schicksalshafte
Begegnung mit dem damaligen Herausgeber des Magazins, Christoph Reisner, der
später Begründer des Göttinger Literaturherbstes werden sollte. Mit der Zeit
„rutscht“ er immer mehr hinein in diese Welt von Musik, Kultur und Künstlertum,
er entwickelt sein eigenes Schreibhandwerk weiter und wird schließlich selbst
Autor („Soloalbum“). Dabei wird auch deutlich: Alkohol und Drogen sind ständige
Begleiter.
Das
„rauschhafte“ Leben nach der ersten Buchveröffentlichung findet ebenfalls
Erwähnung. Und es wird deutlich, dass Stuckrad-Barre mehr will. Er wird
regelrecht „erfolgshungrig“ und genießt das Rampenlicht. Er sei in ein
Karussell eingestiegen, das sich immer schneller gedreht und ihn schließlich
aus der Bahn geworfen habe, so der Autor. Ein weiteres zentrales Thema, über
das er ganz offen und unverblümt spricht, ist seine Essstörung, die sich bis
hin zur Bulimie entwickelt. Wir tauchen ein in die Gedankenwelt der
gefährlichen Selbstwahrnehmung eines Magersüchtigen und Junkies. Und
Stuckrad-Barre ist hart in seiner Selbstanalyse, beschönigt nichts. Vor den
Augen der Leser entspinnt sich ein Akt der Selbstzerstörung. Viele
Klinikaufenthalte bringen keinen Erfolg. Niemand kann den Autor vor sich selbst
schützen.
Und mitten in dieser schweren Zeit wird Udo Lindenberg zu einer wichtigen Stütze für Stuckrad-Barre. Er unternimmt einiges, um „Stuckimann“ aus seinem Loch herauszuziehen. Die Schilderungen des Autors über den Sänger sind herzergreifend. Udo wirkt warmherzig, sympathisch, hilfsbereit. Er hat das Herz am rechten Fleck, hält zu Stuckrad-Barre, fängt ihn auf. So einen Freund kann sich jede und jeder, die oder der in einer Lebenskrise steckt, nur wünschen. Und auch der Bruder des Autors hat großen Anteil daran, dass es Stuckrad-Barre letztlich gelingt, seine Sucht zu besiegen und einen Lebenswandel zu vollziehen. Noch mal gut gegangen…
Neben Udo finden auch viele weitere Prominente Erwähnung, auf die Stuckrad-Barre im Laufe seines ereignisreichen Lebens trifft. Dabei plaudert der Autor offen aus dem Nähkästchen. So findet z.B. der amerikanische Autor Bret Easton Ellis häufiger Erwähnung, aber auch Harald Schmidt oder Thomas Gottschalk kommen vor. Fazit: Wer an einem sehr, sehr persönlichen Bericht des Autors über seine bewegte Biographie interessiert ist und sich von den Themen „Drogensucht“ und „Essstörung“ nicht zu sehr getriggert fühlt, der kann mit diesem Buch in meinen Augen nichts falsch machen. Stuckrad-Barre schreibt mit viel Ironie, offenherzig und originell. Hat mir sehr gut gefallen!