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Freitag, 27. September 2024

Stuckrad-Barre, Benjamin von - Panikherz


Kämpferherz



Zu Beginn möchte ich erst einmal loswerden, dass ich vor dem Autor Stuckrad-Barre größten Respekt habe. In dem Buch „Panikherz“ schildert er, aus welcher tiefen Lebenskrise er sich herausgekämpft hat. Sein Erfolg als Autor hat ihn anfällig für die Verlockungen von Drogen werden lassen, die er auf selbstzerstörerische Art konsumierte. Und als Leser erleben wir mit, wie Stuckrad-Barre sich immer wieder auf Neue in Entzugskliniken begibt und doch wieder rückfällig wird. Es ist ein harter Kampf, aus dem er am Ende als Sieger hervorgeht. Er befreit sich letztlich von seiner Drogensucht. Ich ziehe meinen Hut vor diesem Kraftakt! Sein autobiographisches Buch „Panikherz“, in dem der Autor sehr offen mit seinen „Dämonen“ umgeht, hätte auch „Kämpferherz“ heißen können.

 

Der Titel „Panikherz“ ist nach meinem Verständnis aber auch eine Anspielung auf ein großes Vorbild von Stuckrad-Barre. In seinem Buch verneigt er sich vor Udo Lindenberg, der ihn bei seinem Kampf gegen die Sucht großartig unterstützt hat. Das wird immer wieder deutlich. Udo war für Stuckrad-Barre schon in der Jugend ein Idol, als er dessen Platten für sich entdeckte und die Texte auswendig lernte. Kurzum: Die Bewunderung für den Sänger wird nur allzu deutlich. Die Musik von Udo zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben des Autors und wird immer wieder zum seelentröstenden Fluchtpunkt. An vielen Stellen im Buch findet man Passagen aus Udos Liedern, die passend in den inhaltlichen Kontext eingefügt werden.

 

Darüber hinaus gewährt Stuckrad-Barre den Lesern einen sehr persönlichen, offenherzigen Einblick in seine Biographie als Pastorensohn, und das auf humorvolle, selbstironische Art und Weise in einem angenehm plauderhaften Ton. Die sprachgestalterische Seite ist dabei oft kreativ und spielerisch. Die Lektüre macht Spaß, trotz der Tragik der geschilderten Lebenskrise. Es ist absolut kein trauriges, selbstmitleidiges Buch.

 

Für mich als Göttinger waren besonders Stuckrad-Barres Göttinger Jahre interessant zu lesen. So beschreibt er z.B., wie er als Plattenkritiker im Göttinger Stadtmagazin „Nightlife“ tätig war und schildert seine schicksalshafte Begegnung mit dem damaligen Herausgeber des Magazins, Christoph Reisner, der später Begründer des Göttinger Literaturherbstes werden sollte. Mit der Zeit „rutscht“ er immer mehr hinein in diese Welt von Musik, Kultur und Künstlertum, er entwickelt sein eigenes Schreibhandwerk weiter und wird schließlich selbst Autor („Soloalbum“). Dabei wird auch deutlich: Alkohol und Drogen sind ständige Begleiter.

 

Das „rauschhafte“ Leben nach der ersten Buchveröffentlichung findet ebenfalls Erwähnung. Und es wird deutlich, dass Stuckrad-Barre mehr will. Er wird regelrecht „erfolgshungrig“ und genießt das Rampenlicht. Er sei in ein Karussell eingestiegen, das sich immer schneller gedreht und ihn schließlich aus der Bahn geworfen habe, so der Autor. Ein weiteres zentrales Thema, über das er ganz offen und unverblümt spricht, ist seine Essstörung, die sich bis hin zur Bulimie entwickelt. Wir tauchen ein in die Gedankenwelt der gefährlichen Selbstwahrnehmung eines Magersüchtigen und Junkies. Und Stuckrad-Barre ist hart in seiner Selbstanalyse, beschönigt nichts. Vor den Augen der Leser entspinnt sich ein Akt der Selbstzerstörung. Viele Klinikaufenthalte bringen keinen Erfolg. Niemand kann den Autor vor sich selbst schützen.

 

Und mitten in dieser schweren Zeit wird Udo Lindenberg zu einer wichtigen Stütze für Stuckrad-Barre. Er unternimmt einiges, um „Stuckimann“ aus seinem Loch herauszuziehen. Die Schilderungen des Autors über den Sänger sind herzergreifend. Udo wirkt warmherzig, sympathisch, hilfsbereit. Er hat das Herz am rechten Fleck, hält zu Stuckrad-Barre, fängt ihn auf. So einen Freund kann sich jede und jeder, die oder der in einer Lebenskrise steckt, nur wünschen. Und auch der Bruder des Autors hat großen Anteil daran, dass es Stuckrad-Barre letztlich gelingt, seine Sucht zu besiegen und einen Lebenswandel zu vollziehen. Noch mal gut gegangen…


Neben Udo finden auch viele weitere Prominente Erwähnung, auf die Stuckrad-Barre im Laufe seines ereignisreichen Lebens trifft. Dabei plaudert der Autor offen aus dem Nähkästchen. So findet z.B. der amerikanische Autor Bret Easton Ellis häufiger Erwähnung, aber auch Harald Schmidt oder Thomas Gottschalk kommen vor. Fazit: Wer an einem sehr, sehr persönlichen Bericht des Autors über seine bewegte Biographie interessiert ist und sich von den Themen „Drogensucht“ und „Essstörung“ nicht zu sehr getriggert fühlt, der kann mit diesem Buch in meinen Augen nichts falsch machen. Stuckrad-Barre schreibt mit viel Ironie, offenherzig und originell. Hat mir sehr gut gefallen!

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