Ein Buch als Fenster zu einer anderen Epoche
Wir
erfahren zu Beginn z.B., auf welche Weise die Besatzung eines Schiffs
rekrutiert worden ist. Meist handelte es sich bei den Mannschaftsmitgliedern um
verzweifelte Existenzen, um Gescheiterte und Ausgestoßene der Gesellschaft. Der
Großteil der Männer wird zwangsrekrutiert. Darüber hinaus lernen wir das Leben
an Bord kennen. Die bestehenden Hierarchien und Lebensbedingungen werden gut
greifbar. Er herrscht eine strenge Disziplin. Körperliche Züchtigungen sind an
der Tagesordnung. Es kommt gut zum Ausdruck, welche Tätigkeiten auf dem Schiff
erforderlich waren, um den Betrieb am Laufen zu halten. Und die Beschreibungen
sind so bildhaft und detailliert, dass man beim Lesen in eine vergangene Epoche
eintaucht. Großartig!
Weitere
Highlights, die ich spannend und interessant zu lesen fand: Wie läuft es ab,
wenn ein Schiff auf hoher See in ein Gefecht mit einem gegnerischen Schiff
gerät. Was geht den Männern dabei durch den Kopf? Und welche Vorbereitungen
müssen für Angriff und Verteidigung getroffen werden? Im Handlungsverlauf
werden auch immer wieder einzelne Mannschaftsmitglieder herausgegriffen und uns
näher vorgestellt, so dass wir sie besser kennen lernen. Das schafft eine
gewisse Nähe zu den Figuren. Und noch etwas, das aus heutiger Sicht kaum
vorstellbar ist: Die Männer an Bord hatten aufgrund der hygienischen
Bedingungen und Mangelernährung mit vielen Krankheiten zu kämpfen (Fleckflieber,
Skorbut). Der Tod ist als Begleiter allgegenwärtig und die medizinischen
Möglichkeiten sind noch arg beschränkt. Aus heutiger Sicht ist es kaum
vorstellbar, auf welche abenteuerliche Reise sich die Männer damals begeben
haben. Sie waren dazu bereit, unglaublich große Entbehrungen auf sich zu
nehmen. Und es ist unfassbar zu lesen, was die Mannschaft alles hat ertragen
müssen und welches Leid sie über die gesamte Zeit ihrer Mission hinweg
ausgehalten hat.
Beim
Lesen wird die herausfordernde Mission der Umrundung von Kap Hoorn lebendig. Das
liest sich ebenfalls sehr spannend. Der gefährliche Kampf gegen die Elemente kommt
gut zum Ausdruck. Und es passiert das, was der Titel bereits verrät: Die Wager
erleidet Schiffbruch. Ein Teil der Männer schafft es, sich auf eine nah
gelegene Insel zu retten und muss fortan ums Überleben kämpfen. Sie müssen sich
in der neuen feindlichen Umgebung einrichten, Nahrung beschaffen und der Kälte
trotzen. Die Nerven der Männer sind zunehmend angespannt, es kommt immer häufig
zu Reibereien sowie Gewaltausbrüchen und die strenge Hierarchie, die noch an
Bord galt, verliert mehr und mehr an Bedeutung. Es kommt zu Gehorsamsverweigerungen
und mit drakonischen Strafen versuchen die Vorgesetzten die Ordnung
aufrechtzuerhalten. Doch es kommt, wie es kommen muss. Die Situation auf der
Insel eskaliert. Doch ich will hier nicht verraten, was sich genau ereignet
hat. Das möge jede und jeder selbst herausfinden. Nur so viel: Die
Überlebenden, die es später noch zurück ins Empire schaffen, müssen sich vor
einem Kriegsgericht verantworten. Es kommt zu einer Verhandlung, die am Ende
des Buchs ebenfalls geschildert wird.
Letztlich
entsteht ein prächtiges „Gemälde“ der damaligen Zeit und es wird klar, dass
sich nur schwer rekonstruieren lässt, was um den Schiffbruch der Wager herum
genau passiert ist. Es konkurrieren zu viele unterschiedlichen Quellen und
Aussagen miteinander. Doch ich bewundere den Autor für seine ausführliche
Recherche. Er hat unglaublich viele Quellen ausgewertet (das
Literaturverzeichnis belegt das), um dem Geschehen rund um die Wager Leben
einzuhauchen: Tagebücher, Logbücher, Briefe, offizielle Dokumente aus Archiven,
Reiseberichte, Gerichtsunterlagen, Zeitungsberichte. Und als ob das noch nicht
reicht, hat der Autor auch eine Recherchereise zu dem Ort unternommen, an dem
die Wager gestrandet ist. Das verleiht der Schilderung der Örtlichkeiten noch
einmal mehr Authentizität. Großartig! Am Ende punktet das Buch zudem noch mit
einem Bildteil in Farbe (33 Illustrationen sind enthalten). Die Bilder
vermitteln ebenfalls einen guten Eindruck von den Geschehnissen rund um die Wager. Was will man
mehr? Von mir gibt es für dieses Buch 5 Sterne. Ich habe durchgängig mit Interesse
gelesen und es hat mir viel Lesefreude bereitet, am Beispiel der Wager in diese
vergangene Epoche einzutauchen. Bitte mehr solcher Bücher!
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