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Sonntag, 3. November 2024

Henn, Carsten - Der Buchspazierer


Der alte Mann und die Bücher



Carl Kollhoff (72 Jahre) ist ein begnadeter Buchhändler. Er kennt die Wünsche seiner Kundschaft und versorgt einzelne Bürger seiner Stadt mit von ihm ausgesuchten Lesestoff. Dafür bringt er ihnen die Bücher persönlich zu Hause vorbei. Er ist der „Buchspazierer“. Mit dieser Aufgabe gibt er seinem eigenen Leben einen Sinn. Seine Liebe zu literarischen Stoffen und seine Belesenheit merkt man ihm an. So benennt er seine Kundinnen und Kunden z.B. nach literarischen Vorbildern und gibt ihnen amüsante Spitznamen. 


Auf einem seiner Auslieferungsspaziergänge, bei denen wir stets auch die Kundinnen und Kunden mit ihren jeweiligen Eigenheiten und Leseinteressen kennenlernen, begegnet Carl eines Tages dem kleinen Mädchen Schascha (9 Jahre), das ihn fortan begleitet. Sie ist Halbwaisin und ihr Vater arbeitet viel, um die kleine Familie über Wasser zu halten. Anfänglich kann der Buchspazierer mit der Kleinen nicht viel anfangen, er hat Berührungsängste. Doch schnell erobert sie sein Herz. Mit ihrer kindlichen Unbedarftheit und ihren neugierigen Fragen amüsiert sie die Erwachsenen um sich herum und bringt Carl ein wenig aus seinem gewohnten Rhythmus. Schascha verleiht Carls Leben neuen Schwung, durchbricht dessen festgefahrene Routinen und gewinnt rasch die Sympathie der Leserinnen und Leser. Sie ist ein humorvolles Element und sorgt immer wieder für Überraschungen. Eine schöne Beziehungskonstellation, die der Autor da konstruiert hat!

 

In der Mitte des Buchs kommt es dann zu einer krisenhaften Situation. Aus wirtschaftlichen Gründen wird der Service, den Carl anbietet, abgeschafft und er verliert seine Beschäftigung (sein Angebot konnte bei einer Buchhandlung dazugebucht werden). Die Inhaberin des Buchladens agiert eiskalt, undankbar und gnadenlos, und das obwohl Carl mit seiner Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Buchhandlung beiträgt und die Kundschaft mit ihm sehr zufrieden ist. Carl ist daraufhin geschockt und am Boden zerstört. Schascha merkt dies und will ihn aufmuntern. Und ich stellt mir an dieser Stelle die folgenden Fragen: Wie wird er damit umgehen? Kann er sich aus seiner persönlichen Krise befreien? Wird Schascha ihm dabei helfen? Ich will nicht zu viel verraten, nur so viel: Zum Ende des Buchs ändert sich der wohlige Erzählton des Buchs ein wenig und Carl lernt auch andere Seiten des Menschseins kennen.

 

In dem Buch werden viele interessante Themen beiläufig angerissen. So geht es an einigen Stellen auch um das Altern. Weiterhin scheint durch, dass Schascha trotz ihrer ausgeprägten Neugier nicht gut in der Schule ist. Das finde ich erstaunlich, wo sie doch als Begleitung von Carl so kreativ ist und über eine hohe emotionale Intelligenz verfügt. Eine kleine, aber feine Kritik am Schulsystem, die hier aufblitzt. Zentral geht es aber in „Der Buchspazierer“ natürlich um das Thema „Bücher“. So wird klar, dass Bücher in verschiedenen Lebenssituationen immer wieder wichtige Funktionen erfüllen. Sie spenden Kraft, Trost, Freude oder stiften andere Emotionen. Zudem bieten sie Möglichkeiten zur Identifikation mit den Protagonistinnen und Protagonisten und sind eine gute Gelegenheit, um über den Inhalt des Buchs miteinander ins Gespräch zu kommen oder anderen als Geschenk eine Freude zu machen. Und man stößt während der Lektüre immer wieder auf feine Passagen, die das Lesen im Allgemeinen betreffen, so z.B. die folgende: „Jeder Mensch braucht andere Bücher. Denn was der eine aus tiefstem Herzen liebt, das lässt den anderen völlig teilnahmslos“ (S. 89). Fazit: Ein gelungenes Werk mit gut aufeinander abgestimmten Figuren und wichtigen Botschaften. 5 Sterne von mir!

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