Bestseller-Qualität
Ich bemühe mich in meinen Rezensionen darum, nur in solchen Fällen von
Superlativen Gebrauch zu machen, in denen es in meinen Augen wirklich
gerechtfertigt ist. Und das Werk „Die spürst du nicht“ von Daniel Glattauer
wird ein Buch sein, bei dem ich ins Schwärmen geraten werde, soviel kann ich
einleitend bereits vorwegnehmen. Hier stimmt einfach alles. Es steckt so viel
Gutes, Wahres und Aufwühlendes in diesem Buch. Das erlebe ich nicht oft, wenn
ich ein Buch in die Hand nehme. Schon auf der ersten Seite hatte mich das Buch
für sich eingenommen, der Erzählton traf genau meinen Nerv, ich habe direkt
gespürt, dass mich ein tolles Buch erwartet und ich wurde nicht enttäuscht. Und
endlich darf ich in einer Rezension einfach einmal in eine Lobeshymne
verfallen, ich habe lange darauf gewartet.
Dieses Buch hat so unglaublich viele Facetten, ich weiß gar nicht, wo
ich anfangen soll. Auf den ersten Seiten gefiel mir direkt der Erzählton. Es
wird auf das Mittel eines auktorialen Erzählers zurückgegriffen, der dem Leser
die Figuren süffisant und mit ironischer Distanz näherbringt. Er vereinnahmt
den Leser durch die Wir-Perspektive und schnell sind wir dabei, dem Erzähler
bei seiner Kommentierung der Figuren zuzustimmen und ihm beizupflichten. Doch
der Erzählton ändert sich, passend zum Geschehen, als sich ein tragisches
Unglück im Familienurlaub ereignet. Er wird ernster und tragender. Und
plötzlich ist die Handlung gar nicht mehr so locker-flockig und die ironische
Distanz verschwindet, der Erzähler nimmt sich zurück, die Figurenrede gewinnt
an Gewicht. Das ist alles großartig arrangiert! Und das ist ja nur die
handwerkliche Seite des Geschriebenen.
Was die inhaltliche Seite des Romans betrifft, so zeichnet sich die
Handlung vor allem dadurch aus, dass viele Schattierungen in den Blick genommen
werden. Der Inhalt wird sehr abwechslungsreich und mit Hilfe vieler
Perspektivwechsel sowie verschiedener Textsorten (z.B. Auszüge aus sozialen
Netzwerken, Zeitungsberichte etc.) beleuchtet. Und die Themen, die dabei
angeschnitten werden, sind bedeutungsschwer. Es geht um Schein und Sein, es
geht um Verantwortung und Schuld, es geht um Toleranz und Empathie, es geht um
Naivität und Leichtsinn, um Ignoranz und Impertinenz und um vieles mehr. In diesem
Text steckt einfach so viel. Er strotzt vor Tragik und Fehlentscheidungen. Die
freudige Urlaubsatmosphäre findet durch eine Katastrophe ein jähes Ende und was
dann im Nachgang folgt, hat mich einfach gepackt und erschüttert. Ich war
während der gesamten Lektüre stark emotionalisiert, vor allem die
Familiengeschichte der Ahmeds hat mich bewegt.
Es geht um die Reaktionen auf den tragischen Vorfall. Reaktionen der
beteiligten Familienmitglieder. Und auch Reaktionen im Netz. Die
Situationsunangemessenheit vieler Äußerungen in den sozialen Netzwerken kommt
gut zum Ausdruck. Eine sehr treffende Kritik! Streitigkeiten über Verantwortung
treten zutage, Egoismen bestimmen an vielen Stellen die Handlungsweisen der
Figuren. Und die Tochter der Strobl-Marineks flüchtet sich in die virtuelle
Realität. Im Zentrum steht die Frage, wie die Figuren jeweils auf ihre eigene
Art mit dem Schicksalsschlag umgehen. Und das, was der Autor entwirft, wirkt
auf mich alles sehr lebensecht, authentisch und realistisch, wie aus dem Leben
gegriffen. Das betrifft besonders auch die Gestaltung der
Beziehungsverhältnisse der verschiedenen Charaktere. Einfach großartig und
anerkennenswert! Und hinzu kommt nicht zuletzt auch noch ein äußerst kreativer
Umgang mit Sprache. Auch die Sprechweise von Pierre ist treffend gestaltet! Das
rundet das Werk noch einmal zusätzlich ab.
Fazit:
Ein Werk, bei dem in meinen Augen einfach alles stimmt. Das
Buch emotionalisiert nicht nur sehr stark, auch die erzählerische und
sprachliche Gestaltung sind herausragend. Und inhaltlich hat „Die spürst du
nicht“ unglaublich viel zu bieten, es werden so viele wichtige Themen
aufgegriffen, die Figuren wirken dabei so lebensecht und realistisch. In meinen
Augen hat dieses Buch ganz klar Bestseller-Qualität. Das Schicksal der Mohameds
und die Reaktionen der Verantwortlichen sind bewegend. Und die Kritik an gesellschaftspolitischen
Zuständen, die Glattauer mit diesem Werk zum Ausdruck bringt, ist sehr
treffsicher und sicherlich auch berechtigt. Klare 5 Sterne!
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